Understanding MOOCs:
Was das ist und warum das wichtig ist.
von Martin LindnerMOOCs sind eine Welle und ein Hype, seit Sebastian Thrun, ein in die USA emigrierter Artificial Intelligence-Spezialist, Ende 2011/2012 einen Stanford-Kurs weltweit für Online-Teilnehmer geöffnet hat und Hunderttausende dabei mitmachten. (Übrigens waren mehr Litauer als Deutsche dabei.)
Seitdem beschäftigen sich alle Universitäten, Think Tanks und Aktivisten Online-Bildung mit MOOCs. Es sieht so aus, als sei das Lernen im Netz und mit dem Netz jetzt reif für den Mainstream. Nur verstehen die meisten bisher nicht wirklich, worum es bei MOOCs eigentlich geht, was daran tatsächlich wichtig ist und wie ein MOOC funktioniert, wenn er denn funktioniert.
Was ist also der Kern der MOOC-Welle, die jetzt auch Deutschland voll erwischt hat? Was ist an MOOCs wirklich zukunftsweisend für die Digitale Bildung? Und was ist eigentlich der Kern dieses Hype? Wann ist ein MOOC ein MOOC im emanzipatorischen Sinn, und nicht bloß eine Massen-Elearning-Veranstaltung?
MOOC bedeutet bekanntlich “Massive Open Online Course”. In einigermaßen einfaches Deutsch übersetzt: Eine offene Online-Lernveranstaltung mit sehr vielen Teilnehmern. Genauer gesagt:
Ein MOOC ist eine enthusiastische gleichzeitige Lernerfahrung im Web und mit den Mitteln des Web Web 2.0 (YouTube-artige Videos, Blogs, soziale Netzwerk-Impulse …), bei der sich Hunderte, Tausende oder mehr TeilnehmerInnen nebeneinander und miteinander mit einem Thema beschäftigen.
Erwartungsgemäß werden MOOCs bsi jetzt typischer Weise aus der Sicht der “Sender” gesehen, also der Unis bzw. der Professoren, die ihr Wissen in möglichst viele Köpfe bringen wollen.
Das ist die Perspektive des alten Online-Lernens oder des Fernunterrichts, die nun auf die neuen Verhälznisse des Web übertragen werden soll. Dem entspricht eine technische, statistische, institutionelle Interpretation der Schlüsselmerkmale Massive, Open, Online und Course.
Aber das ist ganz falsch: Wenn MOOCs einen Fortschritt für Bildung, Wissen und Lernen darstellen, dann deshalb, weil sie eine qualitativ neue Lernerfahrung bieten. Wir müssen uns also anschauen, was Massive, Open, Online und Course aus der Sicht der User bedeutet.
Massive: Es versammeln sich sehr viele TeilnehmerInnen gleichzeitig in einem gemeinsamen virtuellen “Raum”. “Sehr viele”: Das können Hunderte, Tausende oder Zehntausende sein. Aber jede/r einzelne TeilnehmerIn nimmt ohnehin nur ein paar davon wahr. Es geht also aus Lerner-Sicht eigentlich nicht um die absolute Masse, sondern um die kritische Masse: Man fühlt sich als Teil eines großen, also bedeutungsvollen Lernprojekts. Es sind mehr Leute dabei, als man überblicken kann. Und vor allem wird eine kritische Masse von Impulsen erreicht: Wie in einem chemischen Labor, wenn die Teilchendichte und die Teilchenbewegung so hoch ist, dass es zu immer mehr zufälligen (Ketten-)Reaktionen kommt.
Tatsächlich sind der Vorläufer der MOOCs hier ja die MMORPGs, also “Massively Multiplayer Online Role-Playing Games” (Online-Rollenspiele mit massenhaft Mitspielern). Die gab es schon im Internet der 1990er Jahre, aber zum vielbeachteten Phänomen wurden sie erst Anfang der 00er Jahre, vor allem seit 2004, dem Beginn des World of Warcraft-Booms (und vieler ähnlicher, zum Teil auch sehr erfolgreicher Fantasy- Rollenspiele). WoW hat 10 Millionen User: Das ist unübertroffen massenhaft.
Aus der Sicht der SpielerInnen ist das aber gar nicht entscheidend. Sie spielen nämlich auf getrennten, auch nach Sprachräumen bzw. Zeitzonen organisierten Servern (“realms”), und dort ist die TeilnehmerInnenzahl vergleichsweise überschaubar: typischer Weise unter 10.000, und tatsächlich online aktiv zu einem jeweiligen Zeitpunkt sind ca. 900. (So die Schätzung auf einem WoW-Forum.)
Das lässt sich natürlich auf die amerikanischen Universitäts-MOOCs übertragen. Das anfeuernde und im Idealfall den eigenen Lernprozess befruchtende Gefühl von “Massenhaftigkeit” entsteht bereits dann, wenn sich (sagen wir mal) 150 aktive Leute ungefähr gleichzeitig in der virtuellen Nähe aufhalten. Die allermeisten Uni-MOOC-Teilnehmer agieren allerdings eher als Einzelkämpfer, wie ein WoW-Anfänger, der noch keine Gilde gefunden hat. (Nur mit “Gilden” lassen sich die wirklich schwierigen Herausforderungen bewältigen, die meisten haben zwischen 5 und 100 mehr oder weniger lose Mitglieder.)